Ich war Hitlers letztes Aufgebot: Meine Erlebnisse als SS-Kindersoldat (German Edition) by Günter Lucks

Ich war Hitlers letztes Aufgebot: Meine Erlebnisse als SS-Kindersoldat (German Edition) by Günter Lucks

Autor:Günter Lucks [Lucks, Günter]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Sachbücher/Geschichte/20. Jahrhundert (bis 1945)
Herausgeber: Rowohlt E-Book
veröffentlicht: 2015-02-22T16:00:00+00:00


Märchenstunden und ein Aufstand

Am 1. Oktober 1946 kam ich im lettischen Lager Mitau südwestlich von Riga an. Die dortigen Insassen hatten bereits ihr Winterzeug erhalten, wie üblich im Oktober. Dazu gehörten die Schapka (Pelzmütze), die Waljenki (Filzstiefel) und das muffende Wattezeug. Bloß nicht darüber nachdenken, wer es im Vorjahr getragen hat, lautete die Devise! Aber Hose und Jacke waren immerhin warm und schützten recht wirksam vor der eisigen Kälte. Das war die Hauptsache. Pech nur, dass für mich kein Winterzeug mehr da war! Ich war zu spät ins Lager gekommen. Und es wurde immer kälter.

Ich hatte zunächst außerhalb des Lagers zu arbeiten, es galt Kriegsschäden zu beseitigen. Ein Teil der Gefangenen arbeitete in einer nahegelegenen Zuckerfabrik. Von dort brachten sie Reste mit, die bei der Zuckerherstellung angefallen waren – zum Beispiel eine braune, klebrige Masse, dem Zuckerrübensirup nicht unähnlich, die wir als Brotaufstrich liebten. Melasse nannte sich das. Ich erzählte meinen Kameraden, dass in drei Tagen – am 4. Oktober – mein 18. Geburtstag sei. Und ich hätte nur einen Wunsch: eine Garnitur Winterkleidung, denn sonst drohe der Erfrierungstod, und es wäre dann wohl der letzte Geburtstag meines Lebens. Wie durch ein Wunder erhielt ich bereits am nächsten Tag eine Wattejacke, eine Pelzschapka, ebenso eine wattierte Hose. Nur Handschuhe hatte ich noch nicht. Und das war entsetzlich, denn wir mussten mal wieder Ziegelsteine per Handwurf auf Lastwagen verladen – stets im Zweierpack. Nach kurzer Zeit waren meine Hände wieder blutig. Ich wickelte Stoffstreifen um die Hände, doch sie ersetzten keine Handschuhe. Teil zwei des Wunders ereignete sich am Abend des 4. Oktober.

Gewissermaßen als verspätetes Geburtstagsgeschenk erhielt ich von den Kameraden ein Paar Fausthandschuhe. Und es kam noch besser: Als es ans Verteilen der warmen Suppe ging, bekam ich außer der Reihe einen Nachschlag. «Unser Bubi ist jetzt 18 und damit erwachsen», sagte einer der Kameraden. Ein anderer meinte gar: «Du bist jetzt endlich auch wehrpflichtig und hast dir damit das Recht verdient, ein richtiger Kriegsgefangener zu sein!» Großes Gejohle folgte.

Im lettischen Lager Mitau befanden sich auch viele Soldaten der ehemaligen Kurlandarmee. Die 16. und 18. Armee, später unter General Carl Hilpert zur Heeresgruppe Kurland zusammengefasst, waren abgedrängt worden und hatten sich 1945 im sogenannten Kurlandkessel mit dem Rücken zur Ostsee bis zum Kriegsende verteidigt. Nach dem 8. Mai 1945 weigerte sich die Heeresgruppe Kurland zu kapitulieren, weil sie noch eine intakte, schlagkräftige Kampfeinheit bildete. Man hegte die Hoffnung, wie einst nach der Niederlage 1918, als «Freikorps» im Baltikum weiter gegen die Sowjets kämpfen zu können. Doch die Zeiten hatten sich geändert, alle gingen in die Gefangenschaft, nur einige auf deutscher Seite kämpfende lettische Einheiten versteckten sich noch einige Jahre als Partisanen – sogenannte Waldbrüder – in den Wäldern und kämpften gegen Stalins Herrschaft. Zumeist waren es ehemalige Angehörige der 19. lettischen SS-Division.

Einige der Kameraden trugen seltsame graue Uniformen mit Umhängen, die den Rücken bedeckten. Es handelte sich dabei um schwedische Uniformen, denn diesen Leuten war bei Kriegsende die Flucht über die Ostsee nach Schweden gelungen. Trotz heftiger Proteste in der Bevölkerung waren sie vom neutralen Schweden an die Sowjetunion ausgeliefert worden.



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